o2_Bruni denkt

Unter dem Granatapfelbaum

Unter dem Granatapfelbaum sitze ich oft. Oft sinnierend. Oft einfach so. Oft schwitzend.Oft Erholung suchend nach getaner Arbeit. Denke nach.

Denke nach über alles Mögliche. Gedanken kommen und gehen. Werden unterbrochen durch ein Insekt. Werden unterbrochen durch das Läuten der Glocken am Halsband der Ziegen. Die weiden oben am Hang. Seit Tagen aber weidet ein Gedanke oben in meinem Kopf.
Nicht nur, wenn ich unter dem Granatapfelbaum sitze.
Hier in meinem türkischen Dorf. Ich mache mir Gedanken über mein Denken. Ich mache mir Gedanken über mich und meinen Gang mit der Zeit und den Medien. Wird mein Denken oberflächlicher? Wer denkt so etwas gerne von sich? Wird mein Denken zugeschüttet? Zugemüllt von den Medien? Ohne Mülltrennung meinerseits?


Da höre ich sie wieder, die Glöckchen der Ziegen oben am Hang.
Da arbeitet er wieder, der Gedankenstrom in meinem Hirn oben im Kopf.

Dabei stelle ich fest, dass ich hier den PC viel öfters nutze als früher. Sehr praktisch. Dass ich den Fernseher viel öfters einschalte als früher. Sehr praktisch.
Ja – früher, früher hier im Dorf wurde ich nach getaner Arbeit kreativ. Hab eine Geschichte geschrieben. Hab ein Bild gemalt. Hab spontan Freunde besucht. Wie kostbar. Wie anregend. Wie menschlich.

Heute scrolle ich durch die Einträge im Facebook. Lese dort die unbedeutendsten Dinge. Für mich. Für die dort Schreibenden – für die dort Postenden ist es wohl wichtig. Werde zum Voyeur. Denke meist – „was ein Blödsinn“. Dennoch lese ich weiter. Ärgere mich über mich. Dennoch lese ich weiter. Das Gelesene ist schnell vergessen.

Vor lauter Ärger über mich und meine Zeitverschwendung schalte ich den Fernseher ein.

Ah – die Nachrichten.

Die sind ja wichtig. Denke ich. Da kommen sie. Da prasseln sie herein ins kleine Wohnzimmer im Dorf. Die Eurokrise macht sich breit. Läßt sich breithüftig fallen auf das türkische Sitzkissen. Macht mir Angst, wie sie da sitzt. Behäbig. Bin gerade noch dabei, über mein kleines Sparguthaben zu sinnieren – da kommt die nächste Katastrophe schon und lässt sich neben mich fallen. Direkt – platsch – aufs Sofa neben mir. Ganz nah. Raubt mir den Atem. Macht mir Herzklopfen. Die Ausspähaffäre. O Gott. Sie bedrängt mich geradezu unerbittlich. Macht mich wütend. Mein Blutdruck steigt. Dazu gesellen sich Überflutungen in Bangladesch. Die überfluten mich seit Jahren. Die Wiederaufnahme der Nahostgespräche geht dabei mit unter. Und das schon seit Jahren. Der Wahlkampf mit allen Lügen versucht auch mit zu schwimmen. Kein Rettungsanker in Sicht. Den werfen augenblicklich verschiedene Außenminister halbherzig gen Ägypten. Dort fängt ihn keiner auf. Oh je – jetzt auch noch drohende Hitzewellen, die sich vervierfachen sollen.

Ich schalte ab und setze mich unter meinen Granatapfelbaum. Erholung suchend. Schwitzend. Sinnierend.

Hoffentlich kommt ein Insekt und unterbricht meine Gedanken. Hoffentlich verstummen die Glöckchen der Ziegen oben am Hang nicht.

Hoffentlich vertrocknen meine Gedanken oben im Hirn nicht.